Trauer mit Kindern

“Mama, darf ich mit auf den Friedhof?”

Gestern noch hatte Opa vor dem Haus gesessen und einen Apfel geschält. Heute morgen lag er ohne Puls und Herzschlag in seinem Bett.
Über Nacht war er gestorben. Die kleine Luise, fünf Jahre alt, versteht nicht, was jetzt im Haus geschieht. Alle und auch sie selbst sind sprachlos und traurig. Die Mutter sagt: “Opa wird nicht wieder kommen, er ist jetzt im Himmel” 
Luise geht noch einmal an sein Totenbett. Opa ist in seinem besten Anzug im Bett aufgebahrt. Ganz weiß ist seine Haut und fremd sieht er aus.
Luise war mit ihrer Kindergartengruppe schon einmal auf dem Friedhof gewesen. Sie hatten sich die Grabsteine und die Kapelle angeschaut. Aber einen echten Toten hatte sie noch nie gesehen.
Luise fragt: “Mama, darf ich mit auf den Friedhof?”
Sie darf.

Eltern sind in Trauersituationen vor die Frage gestellt, ob sie ihren kleineren oder auch größeren Kindern die Auseinandersetzung mit Sterbenden, Toten oder auch der Beerdigung ersparen sollen.
Egal, ob Kinder von einem lieben Menschen Abschied nehmen dürfen oder es ihnen verwehrt ist, Abschied, Trauer und die Auseinandersetzung mit dem Tod findet auf jeden Fall statt.
Auch Eltern, die ihren Kinder Trauererfahrungen ersparen möchten, werden nicht verhindern, dass sie sich mit der außergewöhnlichen Situation beschäftigen.
Die heutige Trauerforschung rät dazu, Kinder nicht von Kranken und Sterbenden fernzuhalten, sofern das aus medizinischen Gründen nicht notwendig ist. Kinder sollen auch zur Beerdigung mit gehen dürfen, egal in welchem Alter sie sind. Zwar werden sie nicht alles verstehen, aber sie erleben an der Atmosphäre, den Kerzen, der Musik, den Gebeten, der dunklen Kleidung und der Trauergemeinde wie wichtig es ist, einen Menschen auf seinem letzten Weg zu begleiten.
Die Beerdigung ist der letzte Weg, den ein Verstorbener auf dieser Welt zurücklegt. Wer diesen nicht mitgeht, zweifelt nicht selten und fragt sich, wo der Verstorbene ist. Dies gilt auch für Kinder. Widerstreitende Gefühle, kindliche Neugierde, Unverständnis, Wut, Trauer und Verwirrung bringen Kinder schnell an die Grenzen ihrer Bewältigungsmöglichkeiten.
Für Gefühlsausbrüche bei der Beerdigung muss man sich nicht schämen. Zwar werden die Erlebnisse von der Beerdigung erst mit der Zeit verarbeitet. Aber wer Kindern schon früh Abschiede nicht vorenthält, eröffnet ihnen die Möglichkeit, anders und intensiver leben können.

Dietmar Burkhardt

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